Waldenbuch Vom praktischen Einkaufsbegleiter zur Umweltsünde: Die Plastiktüte hat einen Imageverlust erlitten und wird wohl bald aus unserem Alltag verschwinden. Höchste Zeit, den Tüten eine Ausstellung zu widmen, findet ein Museum in Baden-Württemberg.
Einkaufstüten eines Supermarkt-Discounters zählen zu den Highlights der Ausstellung. „Aldi ist gleich zweimal dabei“, erklärt der Kurator Frank Lang. Er blickt auf die vom Künstler Günter Fruhtrunk entworfenen Tüten aus den 70ern und gerät ins Schwärmen: „Das ist das Irre, dass mal alles zusammentrifft. Wir haben ein superpopuläres Produkt, und gleichzeitig ist das hohe Kunst.“
Das Museum der Alltagskultur in Waldenbuch bei Stuttgart widmet der Plastiktüte eine Ausstellung. Grundlage sind geschätzt 50 000 Tüten von zwei privaten Sammlern, beginnend in den 60er Jahren. „Das ist praktisch eine Epoche. Es sind etwa 50 Jahre, in denen die Plastiktüte unser Leben begleitet hat und es uns auch erleichtert hat“, erklärt Lang. „Wir sind ja alle sorglos mit dem Zeug umgegangen: da Plastiktüte, hier Plastiktüte. Das ist ja irgendwie auch toll gewesen, das war ja das Wirtschaftswunder-Leben.“
Nun der Abgesang. Die Fabrikate aus Polyethylen oder Polypropylen sind zum Symbol der Konsum- und Wegwerfgesellschaft geworden, abgestiegen zum Umweltsündenfall angesichts von Müllteppichen in den Ozeanen. „Adieu Plastiktüte!“ lautet der Titel der Ausstellung, die an diesem Samstag eröffnet wird.
Derzeit arbeitet Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) an einem Verbot von leichten Einweg-Kunststofftragetaschen. Schon seit 2016 sollen auf Grundlage einer freiwilligen Vereinbarung mit dem Handel Plastiktüten nicht mehr kostenfrei an der Kasse angeboten werden. Laut Ministerium verbrauchte jeder Deutsche zuvor durchschnittlich 68 Plastiktüten; 2018 sank die Zahl auf 24.
Der Blick der Ausstellungsmacher auf die Plastiktüte ist zum Teil emotional nostalgisch. Der Kurator selbst freut sich über eine Tasche des Musikladens, in dem er als Jugendlicher seine erste Gitarre gekauft hat. „Als ich die Sammlungen vorsortiert habe, habe ich 100 Kategorien gebildet. Sie können es nach Branchen sortieren, nach Motiven sortieren, nach Farben.“ Die Exponate und Kategorien sollen nach der Eröffnung regelmäßig wechseln.
Neben den Objekten gibt es Informationen zu Herstellung, Gestaltung und Verwendung. Im sogenannten Plastik-Wiki finden sich etwa Zahlen der Deutschen Umwelthilfe: Etwa eine Billion Plastiktüten verbrauchen die Menschen demnach jährlich weltweit. Nur ein Bruchteil in Europa werde recycelt, rund 90 Prozent landen auf Mülldeponien, von wo sie durch den Wind auch ins Meer gelangen.
Der Siegeszug der Plastiktüte begann 1964 mit einer Maschine zur Herstellung von Polyethylen-Tragetaschen. Für Geschäfte und Marken wurde die bedruckte Tasche zum Werbeträger, für Konsumenten mitunter zum Unterscheidungsmerkmal: „Da war schon von weitem klar: Ich kann mir das leisten“, erklärt Lang. Sie galt als praktisch, weil reiß- und wasserfester als Papiertüten, hygienisch und sogar umweltfreundlich.
Die Umweltorganisation WWF warb auf einer Tüte: „Helft mit - Natur in Gefahr“. Dem gezeichneten Motiv zufolge sind Abwässer aus Industrie und Großstadt eine Umweltbedrohung, die Plastiktüte offensichtlich nicht, wie der Kurator erläutert: „Aus heutiger Sicht ist das völlig schräg, völlig kurios.“ Die Tüte stamme aber aus der Zeit Ende der 70er, „als diese CO2-Thematik noch nicht auf dem Tisch war“. CO2 entsteht bei der Verbrennung von Polyethylen.
Einige Tüten der Ausstellung sollen jedenfalls als kulturgeschichtliche Relikte bewahrt werden. Die Besucher können über die Objekte abstimmen, die dann in einem Depot eingelagert werden.
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